Volkstrauertag 17. November

17. November 2019

Graue Regenwolken rollen wie seit jeher über den Landstrich, aus welchem wir mit verbissener Hartnäckigkeit seit vielen Lebenszyklen unser Isarathen aus dem Boden gestampft sehen wollen. Für alle Welt zu beschauen und zu bewundern. Tropfen um Tropfen fällt ziellos, getrieben von Kräften außer menschlicher Kontrolle auf den Wunderbau, in dem Millionen kleine Zahnräder sich gegenseitig einreden, der Krone Schöpfung zu sein. Eines Tages wohl fallen die gleichen Tropfen auf nichts als Ruinen. Mit der Menschheitsgeschichte als Augenblick der Weltgeschichte und moderner Zivilisation als Wimpernschlag des homo sapiens ist das Konzept von Ewigkeit in allen Dingen Hybris. Wie also können wir uns gegenseitig und persönlich als Gesellschaft aus Millionen fragilen Existenzen ewige Verantwortung, ewige Aufgaben auferlegen? Inbrünstig in die totale, gleichgültige Stille des ewigen Universums schreiend unseren Platz im Pantheon der Ewigkeit verlangen, erfordert nüchtern betrachtet eine Überheblichkeit, einen Narzissmus, der an kollektive psychische Krankheit grenzen muss, eine allumfassende Hysterie, die jeden Einzelnen jeden Tag vom schwarzen Abgrund der Bedeutungslosigkeit zurückzerren muss.

Wenn wie alle Jahre so auch in diesem zum Volkstrauertag ein breiter Querschnitt der Gesellschaft vor der bayrischen Staatskanzlei Stellung bezieht, so drehen lediglich die kleinen Zahnräder Münchens schneller, um eine komplexe Darstellung einem Uhrwerk gleich darzubieten. Doch die Stille um das Mahnmal, zu einer beinahe tröstlichen Decke gewoben durch stetes Flüstern des Regens, vereint unter sich allen kosmischen Zusammenhängen zum Trotz Individuen mit Zielen, Träumen, Wünschen, Aufgaben, Verpflichtungen und an diesem Tag Verantwortungen. Was macht uns am Ende des Tages aus, die wenigen Jahre, in denen wir die Welt um uns bereichern? Im Angesicht kosmischer Leere aufzugeben war unserer Spezies unmöglich, seit menschliches Bewusstsein aus ebenjener Leere gerissen und in die Welt entlassen wurde.

Das unbesiegbare Bestreben beizutragen, zu schaffen, zu kreieren mit seiner unmessbaren Stärke erlaubt es uns, als Gesellschaft zu erklären: Wir erteilen uns ewige Aufgaben, geboren aus ewiger Verantwortung. So stehen am Ende Bürger, Politiker, Soldaten und Couleurstudenten versammelt unter gleichgültigen Regenwolken in einer Zeremonie, in der wir dem ewigen Vergessen, der kosmischen Gleichgültigkeit trotzig die Stirn bieten. Vor einer Staatskanzlei, die früher ein Museum war, auf Kies, der einmal ein Felsen war, an einem Feiertag, den es seit 1952 gibt, kann das Vertrauen in unser ewiges Gedenken, in unsere ewige Verpflichtung dem Frieden nur aus der Sicherheit kommen, dass wie die Menschen vor uns und um uns auch die Menschen nach uns mit derselben unbrechbaren Gier ihr Stück Ewigkeit aus kosmischer Leere erobern wollen und werden. Der Blick in die versammelte Runde, die beinahe greifbare Atmosphäre um eine bedeutungsschwangere Mitte ist allein geschaffen worden durch die kollektiv versammelten Zahnräder mit Ihren Zielen, Träumen, Wünschen, Aufgaben, Verpflichtungen und Verantwortungen, die bereit sind, heute mit ihrem Stückchen Ewigkeit dem noblen Zweck des Gedenkens zu dienen.